die felder sind bestellt
doch
sie sind nicht geliefert worden
wir müssen
sie abholen
die pläne sind gezeichnet
mit
wunden und vom langen zittern
wir müssen
sie heilen
die brücken sind geschlagen
nun
krümmen sie sich im schmerz
wir müssen
sie trösten
(unveröffentlicht, Juni 2025)
ich habe dich schweigen
gesehen mit
der schönsten
deiner stimmen mit der
roten der hellen die durch
alle wände strahlt die
meine räume füllt
mit licht und
laut
in: vor wort, 2022
Aus dem Vorwort von „Gespräche über Bäume. Gedichte zur Demokratie“, hg.v. Hubert Klöpfer und Thomas Weiß, Kröner Verlag Stuttgart 2025:
Lyrik ist ein Ort. Der Ort, an dem Unsägliches ausgesprochen werden kann, an dem versucht wird, das Unsagbare in Worte zu fassen. Darum ist Lyrik nicht nur ein Format, in dem eben auch geschrieben werden kann, nicht nur eine Methode im Literaturbetrieb, die sich der einen mehr, dem anderen weniger erschließt. Lyrik ist eine Haltung. Als Lyriker und Lyrikerin die Welt zu beschreiben, heißt, sie als unverfügbar und zukunftsoffen zu verstehen, sich ihr bescheiden und neugierig zu nähern.
Diese Haltung steht sehr im Gegensatz zu der rechtspopulistischen Behauptung, es sei doch alles ganz einfach und auf ein paar Wahrheiten und Sündenböcke zu reduzieren. Lyrik reduziert nicht, sie verdichtet; Lyrik kommt nicht mit eingängigen Parolen daher, sondern fordert von sich (und ihren Leserinnen und Lesern) die Mühe, nicht gleich Antworten zu haben, sondern sich für Antworten auf den Weg zu machen und Gespräche zu führen.
Dichter und Dichterinnen schaffen, um mit Umberto Eco zu sprechen, „offene Kunstwerke“, die erst zur Vollendung kommen, wenn sie gelesen, gesprochen, gehört werden – um neue Möglichkeiten des Verständnisses und der Interpretation hervorzulocken. In der modernen, zeitgenössischen Lyrik ist es wie in anderen Künsten: Es gibt über Bilder, Melodien, Gedichte keine Deutungshoheit, auch nicht des Autors, der Autorin, des Tonsetzers oder der Malerin. Ein Gedicht verstehen – das gelingt nur in einem gemeinsamen Prozess, im Dialog zwischen Dichter und Leserin, das Gedicht braucht und will den Dialog. Das Gedicht fordert also: die demokratische Haltung, eine Haltung des Respektes, der Lernbereitschaft, der Konfliktfähigkeit.
Wenn Gedichte, Dichter und Dichterinnen den Dialog, das Gespräch brauchen – brauchen sie dann auch das „Gespräch über Bäume“?
Heutige Dichtkunst ist, wenn sie sich selbst ernst nimmt, immer Dichtung nach dem Völkermord an den Herero und Nama, nach Auschwitz, nach Hiroshima, nach Vietnam, nach 9/11, dem 24. Februar 2022 und dem 7. Oktober 2023 – sie ist Dichtkunst im historischen, politischen, gesellschaftlichen Kontext. Und als solche wird sie gebraucht.
Für diese Anthologie erbeten wurden Beiträge zu einer politischen Lyrik im Kontext der aktuellen politischen Situation. Gemeint sind nicht „Gedichte mit Botschaft“, die moralisierend oder mit erhobenem Zeigefinger daherkommen, keine „plakativen Parolen“, sondern die lyrische Reflexion, die Antwort von Lyrikerinnen und Lyrikern auf die gesellschaftliche Herausforderung von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus (und ihrer Sprache). Es geht um Lyrik „im Kontext“.
mein herzrasen
braucht im frühling
neues saat gut
und das moos
muss ich entfernen
damit die herz
haut wieder atmen
kann steine lese ich noch
sie haben neue
geschichten vom winter
in: im wort laut, 2019
Auch nach seinen unbeschwerten Kindertagen ist bei Herrn G. die Lust geblieben, Verstecken zu spielen. Nur liegt ihm jetzt nicht mehr so viel daran, nicht gefunden zu werden.
aus: Geschichten vom Herrn G., 2013
Hilf mir die Sätze bauen aus Bruchholz. Wir können es im Winter sammeln und nach dem Orkan. Da ist es geeignet, da liegt es nicht lang – da kann es noch sprechen, schweigt es nicht. Erzählt vom Baumbestand der Dinge, vom Brausen in der Nacht, und von der Stille, die sich in die Winden birgt. Du kannst sie noch hören, wenn du den Schallringen, den jährigen, lauschst.
Vom Licht auf der Rückseite des Mondes sehen wir nichts, und nichts von den Schatten der Sonne. Vom Schweigen in den Schreien der Kinder hören wir nichts, und nichts vom Lärmen der Stimmen. Vom Brennen in den Weiten des Eises spüren wir nichts, und nichts von der Kälte im Vulkan. Weil wir die Lider nicht senken, die Ohren nicht verschließen. Weil wir nicht tasten, weil wir die Finger lassen davon.
Ganz am Anfang war das Wetter sehr schlecht, draußen tobte ein mächtiger Sturm. Dass es donnerte und hagelte hörte Herr G durchs geschlossene Fenster – und dunkel war es auch, wie manchmal in Novembernächten. Da jagt man doch keinen Gott vor die Tür, meinte Herr G. und zögerte. Schließlich trat er doch hinaus und der Himmel und die Erde klarten auf.
Wenn Herr G. gefragt wurde, vom Löwen etwa, der bekanntermaßen ein gewisses Ansehen bei Herrn G. genoss, oder von den Erzengeln, die trotz ihrer fortgeschrittenen Jahre ihre Neugierde durchaus nicht verloren hatten, warum er ausgerechnet in den Menschen so vernarrt sei, antwortete Herr G., nicht ohne etwas Röte auf den Wangen und einem stillen Lächeln dabei: Das ist eine lange Geschichte.
aus: Geschichten vom Herrn G., 2013
patientenverfügung
meine tränen
entfernt nicht
legt sie
wie das alte herz
in die schale
zu den bildern und geschichten
ich will sie noch vererben
aus: von weit, 2010
auf meiner ton
leiter da engel
herabsteigen
sehe ich die erde
offen
hier habe ich mein hunger
haus
bette ich die zunge auf
stein
aus: stimm bruch, 2010
doch sprich
sprich
aus schweigen
kannst du kein
gedächtnis bauen
und sei es bloß ruine
hütte ohne dach
und taugen deine worte
nicht zu mehr
so sprich
doch
sprich
aus: von weit, 2010
kopfstimme
dissonant
haupt und
brust
ton müssen auf herz
flimmern eingestellt werden
auf kammer
klang
aus: schatten ersatz, 2007
die sorgen
falten
ablegen
auf stapel
nach themen geordnet
nach dringlichkeit
auf wieder
vorlage
einige
aus: schatten ersatz, 2007
Ab und zu lädst du meinen Zweifel ein,
an deiner Tafel Platz zu nehmen.
Wenn du ihn genährt hast,
kommt er satt nach Hause,
ganz froh, dein Gast gewesen zu sein
und etwas zu gelten bei dir.
aus: Hörst du mein Schweigen? 2008